Freie Fahrt? Die Schranken des Urheberrechts

Ein Beitrag von Constantin Bress, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Immaterialgüterrechte am FIZ Karlsruhe und Teil des Teams „Legal Framework and Machine-Actionable Policies“ (Measure 3.6) in FAIRagro

Zwar sind Daten meist gemeinfrei und nur ausnahmsweise urheberrechtlich geschützt (Einen Überblick gibt Lea Sophie Singson in diesem Blogbeitrag).
Wenn sie aber urheberrechtlich geschützt sind, können sie ohne Lizenz nicht verwertet werden. Oder etwa doch?

Schranken des Urheberrechts: was ist das?

Das Urheberrecht erlaubt bestimmte Nutzungen, wenn die Interessen hinter der Nutzung überwiegen oder die Beeinträchtigung des Urheberrechts nur gering ist. Diese Ausnahmen vom urheberrechtlichen Schutz werden auch als Schranken des Urheberrechts bezeichnet. Konkret bedeutet das, dass für bestimmte Handlungen innerhalb dieser Schranken die Urheberin nicht um Erlaubnis gebeten werden muss.

In Deutschland gibt es im Gegensatz zu den USA keine generelle Ausnahme vom urheberrechtlichen Schutz in Form einer fair-use-Klausel. Vielmehr sind die Ausnahmen jeweils für sich geregelt. Diese ermöglichen aber teilweise recht weitreichende Nutzungen. Da die Schranken auf Unionsrecht beruhen, sind sie in der gesamten EU vergleichbar ausgestaltet.

Voraussetzungen der Schranken des Urheberrechts

Gemeinsames Merkmal der Schranken ist ihre Anknüpfung an konkrete Arten von Handlungen, etwa die Erstellung einer Kopie – so genannte Vervielfältigung in der Sprache des Urheberrechts gemäß § 16 UrhG oder die (digitale) Weitergabe des Werkes – genannt öffentliche Zugänglichmachung nach § 19a UrhG. Ein paar dieser Schranken sollen im Folgenden näher betrachtet werden: Namentlich die Schranken für:

Die beiden ersteren Schranken ermöglichen bestimmte Arten von Kopien.
§ 60d UrhG erlaubt zusätzlich auch die Weitergabe in manchen Fällen.
Die Schranken lassen sich im Wesentlichen auch auf Datenbanken übertragen, § 87c UrhG.

§ 44a UrhG: Vorübergehende Kopien

Der Paragraf erlaubt die Erstellung von vorübergehenden Kopien. Das allerdings nur, wenn die jeweiligen Inhalte zuvor rechtmäßig erlangt wurden. Die Schranke soll technisch notwendige Vervielfältigungen ermöglichen, damit rechtmäßig erlangte Inhalte auch digital wahrgenommen werden können. Ohne diese Schranke würden auch technisch notwendige Zwischenschritte unter das ausschließliche Vervielfältigungsrecht der Urheberin beziehungsweise des Urhebers fallen.
Damit wurde das teilweise aus dem 19. Jahrhundert stammende Urheberrecht an „moderne“ Formen des Konsums angepasst wie das Lesen von Papern als PDF oder das Streamen von Filmen. Wirklich viel ermöglicht diese Schranke also nicht. Vor allem nicht, wenn der Kopie eine eigenständige wirtschaftliche Bewertung zukommt.

§ 44b UrhG: Text- und Data-Mining, aber mit Haken

Weitreichender ist § 44b UrhG. Zwar ermöglicht dieser auch lediglich vorübergehende Kopien. Diese dürfen aber automatisiert ausgewertet werden, um übergreifende Informationen aus den Inhalten zu gewinnen. Der wichtigste Unterschied zu § 44a UrhG ist, dass auch wirtschaftlich bedeutende Verwertungen darauf gestützt werden können.

§ 44b UrhG und Training von Künstlicher Intelligenz

In aktuellen Diskussionen wird § 44b UrhG oftmals herangezogen, um die Zulässigkeit des Trainings von KI verschiedenster Art – zumeist generative Modelle – zu begründen. § 44b UrhG sieht aber auch vor, dass die Rechteinhaberin oder der Rechteinhaber ein Opt-Out für Text- und Data-Mining setzen kann. Dieses muss „maschinenlesbar“ sein. Wann diese Anforderung erfüllt ist und ob das Training von KI wirklich auf § 44b UrhG gestützt werden kann, ist aktuell aber stark umstritten, auch wenn es schon erste Urteile unterer Instanzen gibt (Dazu dieser Beitrag). In jedem Fall müssen die Kopien gelöscht werden, wenn der Zweck des Text- und Data-Mining erreicht wurde. Bei der Zusammenstellung von zum Beispiel Corpora aus urheberrechtlich geschützten Inhalten bietet es sich daher an, auf die jeweiligen Quellen zu verlinken statt die Daten unmittelbar zu veröffentlichen.

§ 60d UrhG: Fast unbeschränktes Text- und Data-Mining für die Wissenschaft

Am weitreichendsten ist § 60d UrhG. Dieser privilegiert die Forschung umfassend, indem er bestimmten Personengruppen ermöglicht, auch dauerhafte Kopien anzulegen, um Text- und Data-Mining zu ermöglichen. § 60d UrhG reiht sich damit in die Vielzahl von Privilegierungen für Forschungszwecke ein, die im Datenrecht bestehen (so etwa auch in der KI-VO, dazu die Beiträge von Patrick Brunner für NFDIxCS. In der Norm sind die privilegierten Personenkreise näher definiert. Verbindendes Merkmal ist aber das Streben nach Erkenntnis und ein Handeln, welches zumindest nicht nach Profit strebt. Die dabei angefertigten Kopien dürfen dann auch an andere Forschende weitergegeben werden. Damit ist auch eine weitreichende automatisierte Auswertung von urheberrechtlich geschützten Werken möglich. Ein Opt-Out ist im Gegensatz zu § 44b UrhG nicht möglich.

Vergütung für Nutzung?

Dass ein solches Werk genutzt werden darf, bedeutet allerdings nicht, dass dies kostenlos erfolgen muss. An sich muss nach §§ 54 bis 54h und § 60h UrhG eine Vergütung entrichtet werden. Das erfolgt in der Regel über Verwertungsgesellschaften und durch Anpassung des Kaufpreises von zum Beispiel Festplatten oder USB-Sticks. Allerdings gibt es auch hier für die Wissenschaft wieder eine Ausnahme nach § 60d Abs. 2 Nr. 3 UrhG: die Nutzung der Schranke ist
vergütungsfrei. Für §§ 44a UrhG und 44b UrhG ist von vornherein keine Vergütungspflicht vorgesehen. Eine solche wird aber aufgrund der mit KI zusammenhängenden (vermuteten) Wertschöpfung aktuell rechtspolitisch diskutiert.

Ausblick

Wenn Text- und Datamining auf (möglicherweise) urheberrechtlich geschützten Daten durchgeführt werden soll, bietet sich also die Nutzung der Schranke in § 60d UrhG. Sollte dies nicht möglich sein, kann auf § 44b UrhG zurückgegriffen werden, welcher aber deutlich voraussetzungsreicher ist, vor allem aufgrund des Opt-Outs.
Die gesetzlichen Schranken des Urheberrechts ermöglichen damit recht viel. Es besteht aber auch genauso viel Unklarheit darüber, was genau unter welchen Voraussetzungen erlaubt ist. Die rechtlichen Unklarheiten müssen schlussendlich die Gerichte beseitigen.
Das gilt im Übrigen auch für die US-Amerikanische fair-use-Klausel; deren Reichweite ist etwa Kern des Rechtsstreits zwischen OpenAI und der New York Times.

Dieser Beitrag ist lizenziert unter CC-BY 4.0.


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