Von der Forschung zur Verschwörung: Mittel gegen Missbrauch von Publikationen

Ein Beitrag von Lea Sophie Singson, Legal Data Steward bei FAIRagro, Lea-Sophie.Singson@fiz-karlsruhe.de

Was tun, wenn Forschung für die Verbreitung von Verschwörungstheorien missbraucht wird?

In der Vergangenheit haben Ereignisse wie die Covid-Pandemie gezeigt, wie schnell wissenschaftliche Studien und Publikationen ins falsche Licht gerückt und in Windeseile verbreitet werden können – besonders über soziale Medien. Was können Autor*innen wissenschaftlicher Publikationen gegen eine missbräuchliche Verwendung unternehmen? Insbesondere, wenn die Publikationen mit einer offenen Lizenz freigegeben sind?

Die „Entstellung“: Schutzinstrument aus dem Urheberrecht

Eine Forschungspublikation kann als Werk nach dem Urheberrecht geschützt sein. Durch das so genannte „Urheberpersönlichkeitsrecht“ kann die Urheberin dann darüber bestimmen, ob und wie ihr Werk veröffentlicht wird. Darüber hinaus schützt dieses Recht auch ihr Werk vor Entstellung oder Beeinträchtigung. Dies ist in Paragraf 14 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) geregelt. Danach kann die Urheberin die Entstellung oder andere Beeinträchtigung ihres Werkes verbieten, wenn diese dazu geeignet ist, die berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen der Urheberin am Werk zu gefährden.

Was „Entstellung“ und „andere Beeinträchtigung“ genau bedeuten

Entstellung ist die Verfälschung oder Verstümmelung eines Werkes. Etwas vager formuliert dagegen die andere Beeinträchtigung: Dafür muss das Werk in seiner Wirkung gehemmt, behindert, eingeschränkt oder geschmälert werden.

Druckt beispielsweise eine für die Leugnung des Klimawandels bekannte Zeitschrift eine wissenschaftliche Publikation zu diesem Thema ab und entsteht dabei der Eindruck, dass die Publikation die Ansichten der Herausgeber unterstützt, so kann in dem Abdruck eine Entstellung oder andere Beeinträchtigung der Publikation liegen.

Veröffentlicht, verzerrt, verboten: Voraussetzungen des Verbietungsrechts

Eine Entstellung oder andere Beeinträchtigung des Werkes allein reicht für ein Nutzungsverbot nicht aus. Dafür müssen folgende weitere Voraussetzungen vorliegen:

Die Gefährdung berechtigter Interesen der Urheberin:

Die Entstellung oder andere Beeinträchtigung muss berechtigte Interessen der Urheberin gefährden. Kann zum Beispiel die Öffentlichkeit das entstellte Werk gar nicht wahrnehmen, liegt auch eine Gefährdung fern. Teilt der Redakteur der obigen Zeitschrift also die Publikation der Wissenschaftlerin in entstellter Weise auf seinem privaten, nicht öffentlichen Instagram-Account, der keine Follower*innen hat, wird man eine Gefährdung des Integritätsinteresses der Autorin wohl verneinen.

Die Interessenabwägung – Nutzung des Entstellers vs. Integrität der Urheberin:

Angenommen, die Publikation der Autorin wurde entstellt und ihre Interessen gefährdet. Dann kann immer noch das Nutzungsinteresse des Entstellers das Integritätsinteresse der Autorin überwiegen. Ob dies der Fall ist, lässt sich anhand einer so genannten Interessenabwägung prüfen.
Dies ist, wie häufig in der Rechtspraxis, eine Sache des konkreten Einzelfalls. Besonderheiten gibt es hierbei, wenn die Urheberin mit dem Nutzer ein Nutzungsrecht vereinbart hat.


Die Interessenabwägung bei Nutzungsrechten

Was sind Nutzungsrechte und Lizenzen?

Grundsätzlich darf laut dem Urheberrecht allein die Urheberin des Werkes über dessen Nutzung und Verwertung entscheiden. Deshalb muss sie mit potenziellen Nutzenden eine Vereinbarung über das Ob und das Wie der Nutzung treffen. Sie kann dies mit jedem Nutzenden individuell vertraglich vereinbaren. Häufiger in der Praxis anzutreffen ist jedoch die Bedienung vorgefertigter Nutzungsbedingungen in Gestalt von Lizenzen.

Wählt die Autorin darüber unter den verschiedenen Lizenzen eine Lizenz, die auch die Änderung ihrer Publikation erlaubt – wie beispielsweise die CC BY-Lizenz von Creative Commons – nennt man dies auch Nutzungsvereinbarung mit Änderungserlaubnis.

Dieses gewisse Maß an freiwilligem Kontrollverzicht bei der Wahl einer offenen Lizenz wie der CC BY-Lizenz hat im Gegenzug den Vorteil der größeren Verbreitung und Bekanntheit des Werks und der Urheberin selbst.

Die Nutzungsrechte im Rahmen der Interessenabwägung

Wurde die entstellte Publikation der Urheberin beispielsweise mit einer CC BY-Lizenz versehen, ist bei der Interessenabwägung das grundsätzliche Nutzungs- und Änderungsrecht des Entstellers zu berücksichtigen. Denn im Fall der CC BY-Lizenz ist er in der Nutzung bis auf die Namensnennung und Kenntlichmachung von Bearbeitungen nicht eingeschränkt. Die Grenze ist auch hier an der Stelle zu ziehen, an der die Veränderung die geistige und persönliche Verbindung des Werkes mit seiner Schöpferin verletzt.

Die Interessenabwägung in übrigen Fällen

Überwiegen des Integritätsinteresses

Ansonsten kann das Integritätsinteresse der Urheberin das Nutzungsinteresse in zweierlei Hinsicht überwiegen: zunächst, wenn der Nutzer den Text sprachlich und sachlich erheblich gegenüber dem Ursprungswerk verändert und der Ursprungstext dadurch seinen ursprünglichen Kern verliert. Bleibt der Text an sich unverändert, kann ein Verbot der Nutzung dann in Frage kommen, wenn der Nutzer den Text aus Sicht der Autorin in einen herabwürdigen Sachzusammenhang stellt. Dies wurde bereits gerichtlich entschieden in Fällen, in denen Musikstücke bei Wahlkampfveranstaltungen abgespielt und in einen politischen Kontext gesetzt wurden. Vor diesem Hintergrund ist also auch ein Verbot der Nutzung einer Publikation zur Verbreitung von Verschwörungstheorien denkbar.

Überwiegen des Nutzungsinteresses

Das Nutzungsinteresse kann in den folgenden Fällen überwiegen:

Erstens wenn das Werk selbst nur geringe Individualität aufweist und unter die so genannte „kleine Münze“ des Urheberrechts fällt.

Zweitens bei Werkarten, die naturgemäß ein höheres Bedürfnis kreativer Interpretation haben, wie zum Beispiel Theaterstücke oder Tanzaufführungen.

Drittens im Falle der Parodie oder dem Pastiche, welche auch ohne Zustimmung der Urheberin durch das UrhG gestattet sind. Nur wenn zwischen der Parodie und dem Original Verwechslungsgefahr besteht, kann ein Nutzungsverbot in Frage kommen.

Kriterium der „Entstellung“ greift nicht: Was dann?

Stellt die Nutzung keine Entstellung oder andere Beeinträchtigung dar oder wiegt das Nutzungsinteresse höher als das Integritätsinteresse der Urheberin, hat diese noch folgende Möglichkeiten:

Keine Zurückziehung der Lizenz

Eine einmal vergebene Lizenz kann nicht nachträglich von der Urheberin zurückgenommen werden. Die Publikation bleibt also so lange per CC BY lizenziert, bis die Publikation selbst aufgrund Zeitablaufs (70 Jahre nach Tod der Urheberin) in die Gemeinfreiheit übergeht und damit alle Schutzansprüche verliert.

Möglichkeiten im Rahmen der CC-Lizenzen

Entfernung der Attribution
Die Autorin kann nach den Lizenzbedingungen der CC-Lizenzen vom Nutzer stets die Entfernung der Attribution vom Inhalt verlangen. Dies kann als schnelles Mittel in folgendem Beispiel sinnvoll sein: Verwendet die oben genannte Klimawandel leugnende Zeitschrift die Publikation in einem Online-Medium, welches dann rasant über soziale Medien geteilt wird, ist es üblich, dass die breite Masse die Publikation selbst nicht liest, sondern lediglich die Überschrift und gegebenenfalls den Namen der Autorin. Kommt es dieser nun darauf an, schnell zu handeln, kann sie eine Entfernung der Attribution als erstes Mittel wahrscheinlich schneller und sicherer durchsetzen, als dies über eine Unterlassung aufgrund Entstellung möglich wäre.

„Endorsement-Verbots“-Klausel
Eine weitere Möglichkeit bietet die „Endorsement-Verbots“-Klausel der Lizenzbedingungen der CC-Lizenz. Danach darf der Nutzer nicht der Eindruck erwecken, dass die konkrete Nutzung mit der Lizenzgeberin – also der Autorin der Publikation – in Verbindung steht oder die Nutzung durch sie gutgeheißen wird. Hält sich der Nutzer nicht an diese Vorgabe, folgt daraus der Verstoß gegen die Nutzung im Rahmen der Lizenz, sodass die Nutzung untersagt werden kann.

Verzerrt, verrufen, verloren? – Fazit und Ausblick

Open-Access Publizieren hat trotz des – gewollten – Kontrollverzichts zahlreiche Vorteile. Denn gerade in Zeiten der rasanten digitalen Verbreitung von Falschinformationen sind wissenschaftliche Publikationen im Open Access unverzichtbar. Dieser Beitrag konnte zeigen, dass dieser Kontrollverzicht für Autor*innen nicht bedeutet, dass Forschende sich zwingend von sämtlichen Schutzmöglichkeiten der Forschungsintegrität lossagen müssen. Das Urheberrecht bietet über den beschriebenen Entstellungsschutz hierfür einige Instrumente.

Dieser Beitrag ist lizenziert unter CC-BY 4.0.


Beitrag veröffentlicht

in

,